Das Paket

Das Leben, zumindest das was er darunter verstand, ergab keinen Sinn. Mehr und mehr kam er zu dem Schluss (insgeheim hatte er es schon immer gewusst, sich aber lediglich gegen diese Erkenntnis gesträubt), dass alles nur eine riesige Illusion war. Vielleicht waren es auch viele kleine, welche wiederum eine riesig Große ergaben. Das spielte aber keine Rolle. Sein Leben war im Arsch. Und das spielte eine Rolle. Sogar eine sehr große. Vielleicht sogar eine größere als die Illusion, die ihn umgab.

Er hatte nur eine Möglichkeit, alles wieder ins rechte Lot zu rücken, und diese lag in ihm verborgen. So gut verborgen wie die Perle in einer Muschel, welche wiederum auf den Grund des ewigen Meeres lag. Aber war das Meer ewig? Er dachte nicht, dass es so war. Wie konnte eine Illusion wie das Meer ewig sein? Er merkte wieder, dass seine Gedanken ziel- und sinnlos durch was auch immer für einen Raum streiften, ohne ein Ziel anzupeilen oder sich eines Endes bewusst zu sein. War das sein Problem? Seine verpeilten Gedanken, die, sobald er an einem Stift kaute oder seine Fingernägel betrachtete, sich aus dem Staub machten. Er brauchte oft ziemlich lange, bis er sie wieder beisammen hatte, geordnet und kontrolliert.

Er saß vor seinem Textcomputer und überlegte sehr angestrengt (das brachte nie was, immer erst wenn er sich entspannte und zurücklehnte kamen die Ideen), was er nun Schreiben sollte.

Aber sein Gedankenfluss wurde jäh unterbrochen. Es klopfte an der Tür. Schwerfällig erhob sich aus seinem Sessel. Das Leder knautschte und hinterließ merkwürdige Linien an der Unterseite seiner Oberschenkel.

»Wer könnte das sein« dachte er angestrengt (das bringt doch nix).

Er schaute durch den Spion und sah niemanden. Sofort musste er an Filme denken, wo Killer ihre Opfer durch den Spion hindurch erschossen. Er öffnete die Tür einen Spalt und erwartete eine zusammengekauerte Gestalt zu sehen, die ihn im nächsten Moment anspringen würde.

Doch auch damit lag er falsch. Er sah lediglich ein Paket in DIN A4 Größe.

»Hmmm, von wem könnte das sein« wollte er wissen, als er das Paket hochnahm und es argwöhnisch betrachtete. Er war ein Einzelkind, seine Eltern beide tot. Seine Eltern waren auch Einzelkinder gewesen, und deren Eltern auch schon längst verstorben.

Somit hatte er keine Verwandtschaft, welche ihm ein Paket schicken könnte.

Er drehte das Paket und bemerkte, dass es keinen Absender hatte und das in dem Paket etwas rutschte. Es war ziemlich schwer. Er überlegte, ob er schütteln sollte, hatte es aber schon impulsiv getan. Aber es tat sich nix. Nix zerbrach, kein Klirren war zu hören.

Er schloss die Tür zu, die die ganze Zeit, als er das Paket betrachtete, offen stand, was ihn etwas beunruhigte. Aber nicht zu sehr, da das Paket den größten Teil seiner Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er legte es auf den Tisch vor seinem Textcomputer und sah es schweigend eine Minute lang an. Zu seinem Erstaunen dachte er in dieser Minute mal an nichts. Doch darüber könnte er sich später den Kopf zerbrechen. Er öffnete langsam und behutsam das Paket und einen kurzen Moment musste er an Anthrax denken, ein giftiges Pulver, welches Milzbrand verursachte und das die Welt, zumindest einige Teile der Welt, eine zeitlang in Angst und Schrecken versetzte. Aber er war zu neugierig, um eventuelle Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Er hatte alles Klebeband entfernt und klappte den Pappdeckel auf.

Zuerst konnte er nicht glauben, was er da sah, und er dachte einen Moment lang, er würde ohnmächtig werden. Er presste die Augenlider zusammen bis er weiße Punkte und Striche sah. Dann öffnete er sie langsam und das Bild seiner Realität baute sich langsam auf. Er sah in das geöffnete Paket und erblickte einen dicken Stapel DIN A4 Blätter. Auf jedem war ein langer Text geschrieben, auf jedem derselbe Text. Er las die erste Zeile laut vor:

Das Leben, zumindest was er darunter verstand, ergab keinen Sinn. Mehr und mehr ...


Geschrieben am 29.07.2003 von AskRima
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