Elaine - Teil II

schlaflos

"Klaro, bis morgen dann" sagt sie und beendet damit das Gespräch auf die übliche Art und Weise. Es ist schon komisch. Jeden Abend ein Telefonat. Man könnte es doch auch einmal in der Woche länger dauern lassen. Aber wahrscheinlich ist es so eine Art Tagebuchersatz geworden. Nach einigen Sekunden steht sie lächelnd auf. Warum auch nicht? Schließlich braucht jeder eine Art Tagebuch, jemanden oder etwas, dem man alles anvertrauen kann.

Aber konnte sie wirklich vertrauen? Es mag jetzt komisch klingen, aber letztlich wusste sie wenig. Sie konnte sich einfach nicht sicher sein, ob sie das Telefonat wirklich mit der Person geführt hat, die sie vorgab zu sein. Allerdings, dachte sie mit einem erneuten Lächeln, konnte ihr Gegenüber das ja auch nicht. Irgendwie läuft es anscheinend immer auf Vertrauen hinaus.

So schlecht war das gar nicht. Im Gegensatz zu normalen Gesprächen war immerhin ein gewisses Grundvertrauen vorhanden. Gleichzeitig aber gab es auch diese Anonymität, die es leichter macht, über die innersten Gefühle zu reden. Ja, jetzt, da sie sich das so überlegte, war es gar nicht so übel.


"Heute abend hörst du mal auf deine eigenen Ratschläge, Elaine" sagte sie laut zu Stille der Fenster. Wie jedes mal war die Wohnung in absolute Stille getaucht. Sie mochte das, es gab einem Anlass, selber zu denken. Man musste nicht mal die Augen zumachen, um die Welt auszusperren. Es gab einfach keine. Die wenigen Eindrücke in den Räumen waren ihr so vertraut wie ihre Augenlid-innenseite, da störte nichts. Und ansonsten war nur Stille und Möglichkeit vorhanden. Optimal um nachzudenken.

Sie will schlafen, immerhin hat sie morgen einen harten Tag vor sich. Ja, es ist besser, ausgeschlafen den Tag zu beginnen, sagt sie sich. Doch wie so oft tanzen ihre Gedanken noch ein wenig im Kreis. Trotz aller Ruhe um sie herum und in ihr drin beobachtet sie den einen oder anderen Gedanken beim tanzen. Der vorne links war schön.

Elaine steht auf. So geht das nicht. Mit etwas unsicheren, weil müden, Schritten tapst sie in die Küche und macht die Kühlschranktür auf. Augenblicklich strömt die Kälte heraus und umspielt ihre nackten Beine. Sie fröstelt, immer noch unschlüssig in das Kühlschranklicht blickend. Endlich schließt sie die Tür wieder und nimmt sich etwas Brot aus der Brotbox zwischen Kühler und Herd.


Nachdem sie Ihren Hunger gestillt hat, kuschelt sie sich wieder in ihr Bett. So warm war sie mal? Der Unterschied kommt ihr beträchtlich vor. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, nimmt sie ihn dankbar an. Obwohl sie versucht, sich zu entspannen, dreht sie sich immer wieder von einer Seite auf die andere. Irgendetwas fehlt ihr. Wenn sie nur wüsste, was.

Sie steht nochmal auf. Diesmal steuert sie mit halbwachen Schritten das Badezimmer an. Nach einigen Minuten der ereignislosen Meditation steht sie wieder auf und spült aus Gewohnheit. Dieselbe Gewohnheit aktiviert so schnell wie möglich die Wassersparschaltung, man hat schließlich nichts zu verschenken. Einem inneren Impuls folgend öffnet sie den Spiegelschrank, steht genauso suchend wie ratlos davor. Im Gegensatz zum Kühlschrank entweicht keine Kälte, vielleicht überlegt sie deswegen ein wenig länger. Trotzdem findet sie nichts in ihrem Blickfeld, was ihr im Augenblick sinnvoll erscheint.


Ein wenig enttäuscht geht sie wieder zu Bett, versucht erneut einzuschlafen. Fast, ja, fast schon war sie im Land der Träume, als plötzlich das Telefon klingelt. Ein wenig verschlafen erklingt die vertraute Stimme am anderen Ende: "Kannst du auch nicht schlafen?"


Geschrieben am: 23.07.2002 von Kronn
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