Elaine - Teil III

Training

"Klaro, bis morgen dann" sagte sie und musste unwillkürlich lächeln: diesen Spruch wurde sie einfach nicht los. Heute war es besonders erholsam, mit ihm zu reden, einfach alles loszuwerden. Sie bekommt schon etwas Angst beim Gedanken, dass er einmal nicht mehr da sein könnte. Ihr Arbeitstag war wie erwartet sehr anstrengend. Vor allem dieser unhöfliche, ungehobelte Typ regte sie auf. Der größte Ärger war jetzt verflogen, aber ein leichtes Glühen ihrer Wut war noch vorhanden.

Sie hatte noch einigermaßen gute Laune, schließlich war erst Montag, als dieser besagte Kerl vor ihr steht. Nicht nur, dass er hässlich war, nein, er stank auch noch erbärmlich. Sie, ganz der geschulte und freundliche Profi, begrüßt ihn auch noch höflich: "Was kann ich für dich tun?" Aber was macht er? Er lehnt sich erstmal quer über die Theke, fast so, als wolle er gleich rüberklettern. Und dann, als wäre das nicht genug, sagt er auch noch: "Ach, weißt du, Mädel, eigentlich will ich nur das eine."

Er konnte es nicht wissen. Er hätte ja auch ein wenig vorsichtiger sein können. Nein, Elaine trifft keine Schuld. Sie hat ihn nur krankenhausreif geschlagen. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Aber er hatte es verdient. Sogar ihre Chefin gab ihr Recht. Okay, vielleicht hatte sie auch etwas übertrieben, aber so spricht man einfach nicht mit Elaine. Trotzdem hätte sie sich zurückhalten müssen. Sie sollte über solchen Dingen stehen. Die Wut kochte wieder in ihr. Sie musste raus. Raus auf die Straße. Rein in die Stadt. Jetzt.


Sie machte sich "stadtfertig": alte Armeestiefel, Jeansjacke, Kippen. Heute abend würde sie trainieren. Frust abbauen. Siegen. Verlieren. Lernen. Also los!

Der Bus kam übrigens wieder einmal zu spät. Trotzdem: Für Raschke war es eine akzeptable Zeit. Sie schenkte ihm dafür eines ihr zauberhaftestes Lächeln. Er ließ sie passieren. Wie immer.

An die Fahrt erinnert sich Elaine kaum noch. Wohnblocks wurden zu Innenstadtbauten. Ein großartiges Schauspiel, leider zu gewohnt.


Vom Bus aus geht sie noch einige Meter weit. Ihr Trainingsort liegt günstig. Sehnsüchtig beobachtet sie ein, zwei Pärchen bei ihren Spielchen, ihren Neckereien. Egal, jetzt ist nicht die Zeit dafür. Etwas zügiger steigt sie die Treppen hinunter. Hinunter in den Keller, in dem alles angefangen hat und bis heute andauert.

Ihr Trainer ist schon da. Er ist irgendwie immer da. Keine Ahnung, was er sonst so macht, ob er überhaupt noch ein Leben hat. Manchmal denkt sie, dass er hier lebt und immer dann schläft, wenn keiner da ist. Sie muss bei der Vorstellung, ihn im stehen schlafend anzutreffen, lächeln.

"Hi El'", tönt es ihr entgegen, "wieder ein bisschen trainieren?". Mit einer geübten Geste wirft sie ihre Jeansjacke über den dafür vorgesehenen Haken. Natürlich trifft sie. Das gehört zum Training. "Bereit, wann immer du es bist" lautet ihre Eröffnung.


Erschöpft und müde, aber auch ein wenig erleichtert, sitzt sie im Bus zurück. Vier Stunden lang hat ihr Trainer ihr gezeigt, dass sie noch einiges zu lernen hat. Vor allen Zurückhaltung, erinnert sie sich, vor allem Zurückhaltung.

In ihrem Wohnblock begegnete sie niemandem. Aber mitten in der Nacht ist das auch nicht verwunderlich. Kaum in ihrer Wohnung angekommen, wirft sie die Jeansjacke zielsicher über den Kleiderhaken und stellt die Stiefel wieder in die Ecke. Zwischen Badezimmer und Bett raucht sie noch eine letzte Zigarette, verabschiedet den Tag, entspannt sich. "Gute Nacht, Elaine" sagt sie flüsternd zur Stille ihrer Wohnung. Sie will ja nicht unnötig stören, um diese Zeit.


Geschrieben am: 25.07.2002 von Kronn
Kommentare zu diesen Text bitte an kronn@kronn.de
Dieser Text ist unter der Adresse http://kronn.de/texte/epik/el-03.htm zu erreichen.