Oase der Ruhe

Betonwüste

"Die Straßelaterne erleuchtet den Hauseingangsbereich, taucht ihn in ein kaltes Licht, dass mit der Trostlosigkeit der Nacht harmoniert. Es ist ekelhaft. Nicht mal die kühle Umarmung der sternenverhangenen Dunkelheit erleichtert mein Herz. Ich zittere, obwohl ich kein Problem mit der Temperatur habe.

Ich sitze am Rechner, denke nach, drücke ab und zu eine Taste und versuche, einen klaren Gedanken zu fassen. So richtig gelingt es natürlich nicht, ich bin immernoch durcheinander und sowas ähnliches wie am Boden zerstört. Ich bin müde und möchte schlafen, kann aber keine Ruhe finden. Ich weiß, dass Selbstmord keine Lösung ist, dass ich mich vor solchen zugegebenermaßen radikalen Entscheidungen ausschlafen sollte. Trotzdem sehe ich derzeit kaum einen Ausweg, fühle mich unendlich einsam und leer."

Er ist unruhig und versucht, sich irgendwie zu beruhigen. Nichts hilft wirklich: angenehme, ruhige Musik; laute, agressive Musik; Alkoholika; Zigaretten. Wie gesagt, er möchte sich irgendwie beruhigen und ist unruhig. Er fühlt sich gefangen in der endlosen Weite der urbanen Betonwüste. Er verlässt den Schreibtisch und geht zum Fenster.

"Hallo, mein Name ist Frederick", stellt er sich mit leiser Stimme vor, "und am liebsten würde ich weinen und schreien gleichzeitig, brüllen und erschöpft zusammensinken, versinken in einem selbstgeschaffenen Meer aus Tränen." Er zündet sich noch eine Zigarette an, schaut kurz nachdenklich aus dem Fenster. Unvermittelt, den Blick immernoch auf den Hauseingang gerichtet, fängt er an zu erzählen:

Wüstensturm

"Tagaus, tagein rotieren die Gedanken in meinem Kopf, immer mehrere Schritte zu weit und mindestens einen in die falsche Richtung. Innere Ruhe habe ich nicht mal im Schlaf, gebe unartikulierte Schmerzlaute von mir, fluche in mehreren Sprachen. Es ist schwierig, sich auf eine Sache zu konzentrieren und einfachste Probleme zu lösen. Kaum habe ich einen kleinen Erfolg, bin ich unzufrieden, dass ich den nächsten wichtigen Schritt noch nicht erreicht habe. Ich verrenne mich in Kleinigkeiten, bin überempfindlich und habe überperfekte Ansprüche an mich, die ich niemals erreichen kann. Zufrieden bin ich nie.

Echte, innere Ruhe finde ich kaum, suche aber genau nach dieser und stehe mir doch selbst im Wege."

Erinnerung an die Oase

"Einmal, ist noch gar nicht so lange her, war ich schon glücklich. Ich erinnere mich daran, als ob es vor zwei Monaten gewesen wäre. Na gut, es war vor zwei Monaten. Und ja, ich habe es irgendwie versaut. Sie war meine Oase der Ruhe in einer Wüste voller Hektik. Bei ihr fand ich Zuflucht vor dem zerstörerischen Sandsturm des Alltags. Ich war einfach zu Hause.

Einmal, ist noch gar nicht so lange her, saßen wir ineinandergekuschelt auf dem Sofa. Ich kann mich nicht erinnern, wie lange dieser Moment existierte. Fünf Minuten? Zwanzig? Eine Ewigkeit? Zwei? Zeit war vollkommen bedeutungslos, der Ort nur wichtig, weil sie ihn mit mir teilte.

Einmal, ist noch gar nicht so lange her, saßen wir uns gegenüber. Ich werde den Moment hoffentlich irgendwann vergessen. Sie sagte, dass es ihr leid täte und dass es in ihrem Herzen noch einen anderen gäbe. Sie meinte, dass sie dachte, bereits bereit zu sein, aber meinte auch, dass sie es offensichtlich noch nicht gewesen sei. Komischerweise nahm ich die Nachricht recht gleichmütig auf.

Sterben kann ich später noch, dachte ich vielleicht. Zusammenbrechen kann ich später noch, dachte ich vielleicht. Genieß diesen letzten Augenblick, dachte ich vielleicht. Sei jetzt besser stark, dachte ich vielleicht. Zwei Monate später kam es auf mich zurück, mit der Unerbittlichkeit eines Güterzuges. Meine eigene kleine Variante der Büchse der Pandora, allerdings ohne Hoffnung, sprang auf, heraus kamen nicht die großen Übel der Menschheit, sondern nur eine kleine Erkenntnis. Diesmal konnte ich es nicht auf später verschieben, konnte dem Schmerz nicht aus dem Wege gehen. Egal, was ich jetzt anfinge, es erinnerte mich unweigerlich an sie, an unsere Zeit und an die Ruhe, die sie mir für kurze, sehr kurze, zu kurze Zeit gegeben hat. Jetzt will ich sterben, aber ich bin zuerst zusammengebrochen, kraftlos. Zum Sterben braucht man Energie, Energie, die ich jetzt nicht mehr habe."

Zurück im Sturm

"In mir tobt wieder das Chaos, diesmal Gefühlschaos der unangenehmen Kategorie, wenn man nicht gerade darauf steht, verletzt zu werden. Ich werde wohl noch eine letzte Zigarette rauchen, mein Bier ausleeren und schlafen. Am liebsten würde ich erst wieder aufwachen, wenn die Sonne wieder scheint, aber ich denke, dass ich erst selbst wieder fröhlich werden muss, bevor ich die nächste Oase als solche wahrnehme."

Als er verstummt, hat sich die Welt nicht wirklich verändert. Eine Wolke schiebt sich langsam am Mond vorbei. Er drückt seine Zigarette im übervollen Aschenbecher aus und macht das Licht aus.


Geschrieben am 21.02.2004/28.02.2004 von Kronn
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