Schuld

Ja, ich gebe dir die Schuld. Dir allein. Du bist schuld daran, dass ich jetzt an den Füßen Blasen habe. Du bist schuld daran, dass ich ein-einhalb Stunden durch die Nacht gewandert bin. Du bist schuld, dass ich mal wieder betrunken bin. Ja, allein du bist schuld.

Meine Gefühle haben damit nichts zu tun. Wirklich nicht. Wenn du nicht wärest, dann... ja, dann wäre alles anders... Aber du bist halt in mein Leben eingebrochen. Natürlich wirst du sagen, dass du davon nichts weißt. Würde ich auch so machen. Aber es ist so.

Ein Blick in deine Augen und alles war vorbei... Logik, Verstand, Sachlichkeit: Einfach so weggewischt. Ein helles braun (traumhaft, sozusagen). Aber ist es das wirklich wert? Muss ich wegen dir wirklich stundenlang durch Berlin laufen? Ich meine: andere Menschen schlafen nachts. Nur ich darf das irgendwie nicht. (Ja, ich bin der einzige, der Probleme hat. Ich sag das nur, um eurem Einwand zuvorzukommen.)

Du bist für mich mehr als irgendjemand. Dir würde ich meine Geheimnisse anvertrauen. Dir würde ich alles geben, was ich habe: mich. Zugegebenermaßen ist das nicht viel, aber mehr, als die meisten anzubieten haben. Und ja, daran bist du auch schuld.

So schnell vergesse ich das nicht, mein Sonnenschein. Ja, ich bin eigentlich mehr ein Nachtmensch. Aber du bist meine Sonne. Du gibst mir Wärme und Energie. Du bist die Sonne in meiner Galaxie. Mich stimmt nur ein wenig traurig, dass ich im Augenblick nur die Nummer 3 bin. Dir ist das natürlich nicht bewusst, wie sollte es auch? Ich sage dir ja nicht, was du für mich bist. Und auch daran bist du schuld. Du machst aus mir einfach einen Menschen: klein, verletzlich, ohne Schutz.

Und so bin ich, seit einiger Zeit, nur noch Mensch. Die gottgleiche Selbstsicherheit ist von mir abgefallem: ich bin ich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass du in mir liest wie in einem offenem Buch. Du durchschaust meine Spielereien, führst mich zur Ehrlichkeit dir gegenüber. Ehrlichkeit dir gegenüber bedeutet natürlich auch, dass ich ehrlich mir selbst gegenüber bin. Und deshalb bist du schuld an meiner Selbsterkenntnis.

Ich wollte das nicht. Ich wollte das Dilemma nicht sehen, nicht erkennen müssen. Danke nochmal für diesen Fluch. Danke für meine Schlafstörungen. Danke für meine Gedanken.

Das letzte ist ehrlich gemeint. So schlecht sind die Gedanken ja nun auch nicht. Immerhin kommst du darin vor. Sogar recht häufig. Eigentlich wüsste ich nicht, was ich ohne dich machen würde. Obwohl du schuldig bist (mein inneres Gericht hat bereits geurteilt), mag ich dich. Mehr noch: DU bist diejenigen, die mir den Schlaf stiehlt, neben dir verblasst alles irdische. Vielleicht schafft es die Sonne oder ein Engel, dir gleichzukommen. Aber so ganz sicher bin ich da auch nicht.

Nur eins ist sicher: DU bist schuld. Schuld an dem ganzen Mist, schuld an meiner Unsicherheit, schuld an meinen Gedanken, vor allem aber schuld daran, dass ich mir Blasen an den Füßen gelaufen habe.


Geschrieben am: 26.09.2002 von Kronn
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